Wenn die Zeit stehenbleibt

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Wolfgang Hau begleitete seinen Vater während dessen letzten Lebenswochen im Hospiz „St. Martin“

Manchmal liegen ihm die Hände schwer auf den Oberschenkeln. Wolfgang Hau ist noch ein wenig unbeholfen mit der Zeit, die er nach Feierabend hat. Sein Vater ist gegangen. Ganz stilll und im Schlaf. Er, der Sohn, hat ihn in den letzten Lebenswochen begleitet und gemeinsam mit dem sterbenskranken Mann im Hospiz „St. Martin“ in einem Zimmer geschlafen. Er wollte einfach da sein. Dass das Leben des 77  Jahre alten Vater sehr endlich ist, wissen sie beide seit Juni. Zwei Wirbel der Wirbelsäule des Vater sind von den Krebszellen befallen. Die miese Krankheit hat von der Lunge her gestrahlt. Die Ärzte im Katholischen Krankenhaus sagen dem Sohn, wie es um den Vater steht. Und beide, der Junge under der Alte wissen nun, dass ihre gemeinsame Zeit nicht mehr über den nächsten Sommer kommt. Der Vater liegt auf der Palliativstation. Sein Krebs ist nicht mehr endgültig zu besiegen. Sie werden nie wieder gemeinesam angeln können. „Da ist die Zeit für uns stehengeblieben.“

Wolfgang Hau ahnt, dass es mit der häuslichen Pflege schwer werden wird. 24 Stunden an jedem einzelnen Tag. Die Ärzte sagen, dass es das nicht schaffen kann. Bei aller Liebe nicht. Irgendjemand erzählt ihm vom Hospiz im Südosten der Stadt. Es sei eine gute Adresse. Sie mussen nicht weitersprechen. Es geht um Würde. Wolfgang Hu möchcte sie dem Vater erhalten. Er meldet sich im Hospiz an. um zu sehen, ob es der richtige Ort sein kann für den Vater und auch für ihn. Er ist beeindruckt.

Leise geht es dort zu. Er fotografiert. Er will dem Vater zeigen, welchen Eindruck dir dort auf ihn gemacht haben. Ja, sie gehen ins Hospiz. Der Sohn spricht heute noch in der Mehrzahl, wenn er mit seinen 54 Jahren vom Vater und sich erzählt. „Wir sind verbunden.“ Als ihm vor zwölf Jahren die Mutter und dem Vater die Frau stribt, kommen die beiden noch stärker zusammen. Sie sind einander ein Hald. Nun, für die letztes Lebenszeit des aters, kann Wolfgang Hau ihn im Hospiz besuchen, so oft und so lange er das möchte. Er nimmt Urlaub. Im Hospiz geht es familiär zu. Wolfgang Hau hilft einer Schwester, einige Dinge ins Materiallager zu bugsieren. Dort steht ein Bett. „Wenn Sie mögen, können wir dieses Bett ins Zimmer ihres Vaters stellen“, sagt die Schwester. Oh ja. Nun übernachtet er neben ihm. Wenn er signalisiert, dass er gedreht werden möchte, hilft der Sohn. Er cremt Vaters Lippen. Er holt etwas zu trinken. Er ist einfach da und hat Zeit. Sie haben Zeit. Für Erinnerungen und für gemeinsames Schweigen. Die Pflege übernehmen Mitarbeiter. „Diese Einrichtung war ein Glück für und in all dem Unglück“, sagt er.

Seit 2011 gibt es das christliche Hospiz. Dorthin kommen Menschen, deren Leben sehr endlich ist. Manche sterben nach wenigen Tagen, andere nach einigen Wochen. 100 sind es allein in diesem Jahr, die dort gegangen sind. Das sind 100 Kerzen auf dem Flur. Die brennen so lang, bis der Verstorbene abgeholt wird. Wolfgang Hau erkennt ohne Worte, warum Kerzen brennen. Immer wieder muss er in diesen Situationen schlucken. Auch für seinen Vater wird es eines Tages so sein. Es ist der 8. August. Sein Vater schläft. Wolfgang Hau steht auf. Es ist zwei Stunden nach Mitternacht. Er holt sich einen Kaffee, redet mit der Nachtschwester. Erzählt vom Vater, dem so vieles gelang. Im Garten mit seinen Rosen, im Anglerverein, in der Familie. Es ist gut, dass sie ihm zuhört. Irgendwann geht er wieder ins Bett. Jetzt kann auch er schlafen. Morgens um vier Uhr schreckt er hoch. Der Vater atmet nicht mehr. Der Sohn lässt sich auffangen und den Mitarbeiterinnen um Leiterin Gabriele Gnodtke. Die stellen eine Kerze auf den Nachttisch und eine Orchidee. Wolfgang Hau nimmt Abschied. 16 Stunden lang. Niemand trängt ihn zur Eile. Er will den Abschied hier. Nicht in einer Trauerhalle.

Hektische Zeitläufe gibt es nicht im Hospiz. „ein gelungesnes Lebens heißt auch, in Würde zu sterben“. Das ist die Hlatung mit der die Frauen und Männer der Einrichtung in ihren Arbeitstage gehen. Und in diesem Jahr ist dieser Satz auch das Motto des deutschen Hospiztages am 12. Oktober. Immer noch liegen Wolfgang Hau die Hände schwer auf den Oberschenkeln, wenn der Tag zu Ende ghet und er so onendlich viel Zeit hat nach Feierabend. Aber das Hospiz und seine letzte Zeit mit dem Vater machen die Trauer erträglicher.

Esther Goldberg, TLZ vom 28. September 2013